Kriegsenkel Berlin

Kriegsenkel Berlin

Das Ende des Schweigens – Spurensuche im Ahnensystem

Traumatische Erlebnisse, die im Zweiten Weltkrieg von den Eltern und Großeltern erlebt wurden, können sich heute noch auf das Leben ihrer Kinder und Enkel als Belastungen auswirken.

Kriegsenkel Berlin: Viele aus der Generation der Kinder der Kriegskinder (sogenannte Kriegsenkel) beschäftigen sich mit dem Leben ihrer Ahnen, um generationsübergreifende Zusammenhänge in ihrem persönlichen Leben und im Kollektiv zu erkennen, zu verstehen und zu klären. Hierzu wurden in den letzten Jahren viele Bücher geschrieben. Besonders bekannt und sehr empfehlenswert sind die Bücher von Sabine Bode: Nachkriegskinder und Kriegsenkel.

Die Beschäftigung mit dieser Thematik hat sich im Laufe der Jahrzehnte ausgedehnt von den anfänglichen Betrachtungen der Soziologie und Psychologie (Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft – Alexander Mitscherlich / Am Anfang war Erziehung – Alice Miller) hin zur Psychotherapie und der generationsübergreifenden Traumatherapie.

Immer mehr Menschen beginnen tiefer zu forschen.

Immer mehr Menschen wollen aufklären, woher sie stammen, wer ihr richtiger Vater ist, was ihr Großvater im Krieg gemacht hat. Dieses Wissen-Wollen geht oft über das reine Faktenwissen hinaus.
Es reicht etlichen Nachkommen nicht mehr, lediglich den Namen und die Personendaten eines gesuchten Vorfahrs in Erfahrung zu bringen, zum Beispiel des richtigen Vaters, sondern viele beschäftigt auch die Frage, was es für das eigene Leben bedeutet, den eigenen Vater nicht zu kennen.
So fragen sie sich: warum hat Mutter mir nie etwas über meinen Vater erzählt? Oder: als ich gezeugt wurde, war der Mann meiner Mutter und mein angeblicher Vater bereits gefallen, wer also ist dann mein Vater? Oder: Warum war Großmutter stets in sich gekehrt und verschlossen, gerade als ob sie ein Geheimnis mit sich herumtrüge? Oder: Wie sah es in der Heimat aus, aus der die Großeltern fliehen mußten?
Viele Nachfahren spüren die Sehnsucht, ihre eigenen Wurzeln freizulegen. Außerdem geht es um ein Verständnis für das Gewesene und um Verbindung und Versöhnung.

Stillschweigen bezüglich des Erlebten.

Lange herrschte überhaupt Stillschweigen darüber, was Großeltern und Eltern im Krieg erlebt hatten. In den meisten Familien wurde über solche Themen wenig bis gar nicht gesprochen.
Ein Gespräch darüber hätte die Erinnerung aktivieren und die damit verbundenen unangenehmen Gefühle, wie Scham, Schuld, Ekel, Wut, Angst und Trauer ebenfalls wieder mit ins Bewusstsein bringen können. Wer mag schon mit solchen Gefühlen alltäglich leben müssen? Deshalb waren Verdrängung und Abspaltung des Erlebten für viele Betroffene ein legitimer und möglicherweise auch der einzig verfügbare Weg, um halbwegs unbelastet weiterleben zu können.

Unzählige Familiengeheimnisse entstanden.

Die meisten Eltern und Großeltern haben den Zweiten Weltkrieg auf ihre ganz eigene Weise erfahren müssen: Als Flüchtlinge, ausgebombt, heimatlos, entwurzelt, hungernd, in den Schützengräben, verwundet, als Kriegsgefangene, frierend, in Lagern, als Ausgegrenzte, verfolgt, enteignet, vergewaltigt. Für die meisten war diese Zeit geprägt von großer Not, Angst und Trauer und Leiden.
Der Krieg hat in den Familien viele Umstände und Ereignisse herbeigeführt, an die man nicht mehr erinnert werden wollte, oder für die man sich später schämte, und die deshalb totgeschwiegen wurden. So entstanden unzählige Familiengeheimnisse: Ein Kind durch Vergewaltigung empfangen, Vater oder Großvater waren bei der SS,…..
Auch wenn man über Geschehenes nicht spricht, entfaltet es dennoch seine Wirkung. Deshalb können diese Geheimnisse eine starke Auswirkung auf das körperliche und seelische Wohlbefinden der Nachkommen haben.

Was nicht gelöst wurde, tendiert dazu, sich zu wiederholen.

Was sich in früheren Generationen ereignet hat und nicht gelöst wurde, tendiert dazu, sich zu wiederholen. So können viele unlösbar scheinende Konflikte und Schwierigkeiten, Ängste und Depressionen, Süchte, Immer-an-den-falschen-Partner-geraten und schwerwiegende Erkrankungen in einem Zusammenhang mit den ungelösten Schicksalsbindungen der Ahnen stehen.
Jedoch stehen zum Glück nicht nur Herzens- und Seelenverletzungen in Zusammenhang mit dem Schicksal der Vorfahren, sondern auch Stärken, Talente und positive Eigenschaften.

Generationsübergreifende Sichtweisen werden in therapeutische Verfahren mit einbezogen.

Die systemische Psychotherapie sowie einige Methoden der Traumatherapie nehmen den Menschen als stark beeinflusst durch sein Familiensystem wahr. Auch vorangegangene Generationen und deren Glaubensmuster, Verhaltensweisen und Regeln prägen uns erhelblich. In einer solchen Mehrgenerationenperspektive ist es leichter, belastete Familienverhältnisse und Ahnenfelder zu klären und zu befrieden. Durch eine solche Klärung und Befriedung kann das Leben der Nachkommen sowohl eine solide Basis, als auch eine klare Ausrichtung erhalten und macht persönliche Zufriedenheit möglich. Eine geklärte Verbindung zu den Eltern und den Ahnen wird oft als kraftvolle Verwurzelung im eigenen Leben erfahren, woraus eine starke Lebenskraft erwachsen kann.